Innenstadtbahn Tübingen - Chance oder Chaos?
ProTübingen
Für die Stadtbahn? Für Elektrobusse? Für die Stadt und ihre Bewohner? Stadtverwaltung, Vereine, Initiativen werben um unsere Stimmen, Umweltaktivisten, bekennende Autogegner, Stadtbahnfans und Skeptiker reklamieren die Faktenhoheit für sich. Was bleibt dem Wähler? Kritische Hinterfragung der Positionen, Stellen von Fragen. Diese Internetseite unternimmt den Versuch einer Antwort, unparteiisch, realistisch.
(Diese private und unabhängige Seite stellt die persönliche Meinung des Autors dar.
Dr. Matthias Sprißler)
Neckarbrücke
Dem Portal zur Altstadt, dem Besuchermagneten und der Postkartenansicht droht eine vieljährige Baustelle. Das Ergebnis werden Bahnsteige sein, die durch Radwege vom Gehweg getrennt sind. Für den Notfall: Kann die Feuerwehr die Brücke zwischen Bahnsteigen und Zügen, von denen keiner einen Zentimeter weichen kann, noch als direkte Verbindung zu den Schulen nutzen? Oder ein Rettungswagen die Mühlstrasse? Die Infobroschüre gibt keine Antwort.
Betriebssicherheit
Hier, zwischen diesen Bussen, soll sich der einfache oder doppelte Stadtbahnzug einreihen. Ein Rohrbruch in der Wilhelmstraße, eine Demo vor der neuen Aula, Friday – for - Future am Lustnauer Tor, ein gelber Sack in der Mühlstraße auf den Schienen, ein auf Schneeglätte hängender Bus auf dem Schienenweg – in all diesen Fällen wird der Verkehr stehen. Der Lokführer verlässt den Zug nicht, er kann nicht ausweichen, er findet keine Umleitung.
Verkehrssicherheit
Kraftfahrzeuge dürfen Radfahrer nur mit 1,5 m Abstand überholen. In der Mühlstraße wird der Radweg abwärts 1,3 m breit, der Abstand zum Fahrrad (mit/ohne Kinderanhänger beträgt ca. 50 cm. Ähnlich bergauf bei einer Radwegbreite von 1,5 m. In der Wilhelmstraße sind 1,5 m vorgesehen, in der Schnarrenbergstraße 1,75 m; ein Sicherheitsstreifen zur Bahn fehlt. Laut Infoheft überholt der Zug nicht, sondern folgt dem Rad mit 20 km/h. Nicht jedes Rad schafft 20 km/h; im 7,5 min-Zyklus bleiben dem Rad vielleicht 1-2 min.
Umwelt
Ein PKW verbraucht im Ort 7 bis 10 l/km. Für 1 bis 4 Personen. Ein Gelenkbus verbraucht im Ort 60 l/km. Bei wenigen Fahrgästen mehr als ein PKW, vollbesetzt erheblich weniger.
Eine Stadtbahn hat zwar eine höhere Fahrgastkapazität; ihr Energieverbrauch wird aber durch ihr um ein vielfach höheres Leergewicht ebenfalls vervielfacht. Alle 7,5 min wird Energie benötigt, um die schwere Bahn den Berg hinauf zu schaffen. Ohne Pumpspeicherwerke werden dafür an windstillen Nebeltagen etliche Tonnen Kohle andernorts verheizt.
Umwelt 2
Die Herstellung der Bahn und ihres schweren Fahrgestells ist energieaufwändig.
Insgesamt dürfte dennoch davon auszugehen sein, dass beim Vergleich mit Diesel-Bussen der Treibhausgaseffekt vergleichbar ist, ebenso der Energieverbrauch. Betrachtet man das folgende Diagramm, würde allerdings bei vollständiger Umrüstung der Busse auf Elektrobusse der Treibhausgaseffekt der Linienbusse die Bahn vergleichsweise schlechter aussehen lassen; im Stickoxidbereich dürfte es zum Gleichstand kommen.
Umwelt 3
Interessant ist ein Blick nach Berlin, das nicht im Verdacht steht, sich dem Autoverkehr verschrieben zu haben: Auch dort stehen Stadtbahn und Busse zur Debatte. Selbst in der Großstadt ergab sich bei der Abwägung ein Vorteil für den E-Bus. (https://www.tagesspiegel.de/berlin/pro-und-contra-tram-ausbau-contra-busse-sind-die-bessere-tram/12252080-2.html - „Warum Elektrobusse die beste Wahl sind“ - Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz - https://www.berlin.de/sen/uvk/presse/weitere-meldungen/2019/artikel.835957.php)
Ihre Tauglichkeit haben E-Busse in Tübingen bereits vor Jahren bewiesen. „Tübinger Härtetest bestanden: Elektrobus von Mercedes-Benz überzeugt bei Testfahrt“ https://www.swtue.de/unternehmen/aktuell/neuigkeiten/detail/tuebinger-haertetest-bestanden-elektrobus-von-mercedes-benz-ueberzeugt-bei-testfahrt.html
Spricht die "standardisierte Bewertung" für die Bahn oder deren Rentabilität? Nein; diese Bewertung stützt sich (standardisiert) auf angenommene Fahrgastzahlen und rechnet z.B. auf der "Habenseite" mit hochgerechneten und fiktiven Beträgen für gewonnene Freizeitminuten bei Entfall eines Umsteigevorgangs. Keine Bank der Welt würde für eine solche "Ertragsrechnung" einen Cent geben.
Kosten & Alternative
200 Mio. € - ein astro-nomischer Betrag. Bringt die Bahn gegenüber dem Bus Vorteile, die diesen Aufpreis wert sind? Erhebliche Teile zahlen Bund und Land. Bund und Land sind WIR! Würden wir ein AKW am Neckar wollen, nur weil es uns der Bund „schenkt“? Wird dem Wähler noch vor der Wahl gesagt, mit welchem Betriebskostenzuschuss jährlich gerechnet werden muss? (Zum Vergleich: Schönbuchbahn 11 Mio. €/Jahr) Ist geklärt, wer die „üblichen“ Mehrkosten zu tragen hat (vgl. Stuttgart 21 in Milliardenhöhe; in Heilbronn sind die Kosten für den Innenstadtteil der S-Bahnstrecken nach Mosbach/Sinsheim um 15 % gestiegen. 15 % bedeuten 30 Millionen €.
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Gibt es preiswerte Alternativen?
Ja, P&R Parkhäuser am Ortseingang B 27/B28 mit Expressbussen, die nicht die Mühlstraße, sondern Nordring und Ebenhalde nutzen. Zwei bis drei Parkhäuser nebst Schnellbussen kosten einen Bruchteil der Stadtbahn. Aus den Parkspuren am Nordring/Schnarrenberg könnten fast zum Nulltarif Busspuren werden.
Pendler & Nutzer
Der vermeintliche „Joker“ unter den Fakten. Die Pendler sollen für 5stellige Neu-Fahrgast-zahlen sorgen. Kann das stimmen? Nein. Viele Pendler fahren bereits jetzt mit Bahn und Bus. Sie würden nur den Bus mit der Bahn tauschen, nicht zu einem Rückgang des PKW-Verkehrs beitragen. Die Strecke bis zum Technologiepark ist Zukunftsmusik, auch diese Mitarbeiter gewinnen durch die Stadtbahn nichts. Auch allen Arbeitnehmern in Lustnau, in der Süd- und Weststadt, im Bereich Depot/Güterbahnhof und Derendingen bringt die Stadtbahn keinen Vorteil.
Werden weitere Klinikmit-arbeiter vom PKW auf die Bahn wechseln, wenn sie nicht mehr umsteigen müssen? Ja vielleicht, wenn sie unmittel-bar am Startbahnhof wohnen. Wer aber in Öschingen oder Talheim wohnt, müsste am Mössinger Bahnhof weiter umsteigen oder seinen PKW parken; die Stadtbahn kann hier keinen Anreiz setzen.
Nützt die Bahn den Touristen? Nein; der Bahnhof liegt nur wenige Fußminuten von der Neckarfront entfernt. Nützt die Bahn dem Tübinger Wochenendausflügler? Nein; die meisten wohnen nicht entlang der Bahn; im Übrigen gelangen sie klimaneutral per Rad zum Bahnhof.
Pendler & Nutzer 2
Werden Tübinger Auspendler die Bahn nutzen? Kaum, solange sie an der Morgenstelle endet und damit kaum ein Tübinger Wohngebiet an der Strecke liegt.
Warum gibt es so viele Einpendler: Hausgemachter Mangel an familientauglichem Wohnraum. Eine Familie, die heute arbeitsplatzbedingt nach Tübingen zieht, erhält die Information, dass sie sich in einem Jahr um einen Bauplatz im Queckareal bewerben könne, wo bis in etwa 5 Jahren die Gebäude bezogen werden könnten. Zur Vermeidung von Obdachlosigkeit bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich auf Alb und im Gäu umzusehen.
Kann die Stadtbahn den Mietpreis drücken, weil Einpendeln leichter wird? Im Gegenteil. Die Finanzierung der Stadtbahn über Grundsteuer oder Nahverkehrsabgaben wird Mieten und Nebenkosten weiter nach oben treiben.
Haben die Tübinger einen Vorteil von der Bahn? Nein, nur die wenigsten wohnen im Einzugsgebiet deren Haltestellen, solange die Bahn an der BG endet. Der mittelbare Vorteil leerer Straßen soll ihnen nicht zugute kommen, da freiwerdender Straßenraum nicht dem Autoverkehr belassen werden soll (siehe Aussage VCD-Mitglied).
Infos & Motive
Hier finden Sie die Seiten der Befürworter und der Anhänger alternativer Lösungen. Für den Inhalt deren Seiten wird keine Verantwortung übernommen:
Universitätsstadt Tübingen https://www.tuebingen.de/regionalstadtbahn
Zweckverband Regionalstadt-bahn https://www.regional-stadtbahn.de/ Förderverein Proregiostadtbahn https://www.proregiostadtbahn.de/ Bürgerinitiative Nein zur Innenstadtstrecke https://www.neinzurstadtbahn.de/
Zitat VCD-Mitglied: „Vor allem besteht dann (Anm.: nach Bau der Stadtbahn) eine Alternative, sodass restriktive Maßnahmen gegen Autoverkehr möglich werden.“ – Die 200-Mio-Bahn auf Linie 5 als Mittel für Restriktionen im ganzen Stadtgebiet. Auch in Tübingen wird es weiterhin Autos geben. Auch Tübinger werden Autos nutzen, zur Fahrt zur Arbeit, in den Urlaub, zum Einkaufen, zum Sport, zur Kultur. Tübingen ist mit dem Umland eng verwurzelt, ohne individuelle Mobilität ist Teilhabe an Arbeit, Bildung und Freizeitmöglichkeiten ebenso wenig möglich wie ein Klinikbesuch. Dies gilt umso mehr für ältere Mitbürger und Familien. Wer gesund ist, keine kleinen Kinder hat, in der Kantine isst und in den Urlaub fliegt – dem reicht in der Tat ein Teilauto, dessen Stellplatz in Tübingen sogar der Steuerzahler subventioniert. Aber nicht jeder Tübinger zählt zu diesem Personenkreis.
Zusammenfassung
- Die Idee der Stadtbahn ist nicht schlecht. Auf eigener Trasse könnte sie – abgesehen vom Preis – ein Gewinn für Tübingen sein. Die engen räumlichen Verhältnisse zwischen Bahnhof und Kupferbau lassen jedoch einen sicheren, störungsfreien Betrieb neben Fußgängern und Radfahrern nicht zu. Der Preis erscheint zudem exorbitant zu hoch, wenn man ihn den Mehr-Fahrgästen gegenüber dem derzeitigen Busmodell, auch gegenüber einem um weitere Expresslinien und P&R-Parkhäuser erweiterten Busliniennetz gegenüberstellt.
- Eine Streckenführung parallel zur Ammertalbahn Richtung Westbahnhof, dann ostwärts zur Frondsberg- und Schnarrenbergstraße/Gmelinstraße, würde zwar das räumliche Problem lösen: Dank der vorhandenen Parallelstruktur (Kelternstraße/Herrenberger-Straße) gäbe es keine gemeinsamen Verkehrswege. Auch hier muss aber die Frage erlaubt sein, ob einige weitere Fahrgäste den Tübingern einen Mehrwert bringen, der 200 - 300 Millionen Euro wert ist. Zu bedenken wäre zudem, dass mit hohem Betriebskostenzuschuss der Stadt gerechnet werden muss: Die Schönbuchbahn beispielsweise kostet den Steuerzahler jährlich 11 Mio., das entspricht pro ganzjährigem Nutzer 1000 €/Jahr. Dieser Betrag entspricht jedes Jahr den Gesamtsanierungskosten für 2 Schulen!
- Bleibt das bestehende (und ggf. um Expresslinien) erweiterte Bus-Netz: Hier liegen Ressourcen brach. Würde man die zu Parkstreifen zurückgestuften bisherigen zweiten Richtungsfahrbahnen auf Frondsberg/Schnarrenbergstraße/Nordring als Busspur nutzen, wäre der Zeitgewinn der Express-Linien gewährleistet. Auch ein verbessertes Radwegnetz mit echten Radwegen statt Malerarbeiten würde weitere Bürger das Radfahren erleichteren (z. B. Gartenstraße mit echtem Radweg statt Parkstreifen ...)
Für Radfahrer wird es in der Mühlstraße noch enger!
Nur jeder 4. Zug bringt Sie im 30-min-Takt ab Morgenstelle/BG/Klinik ohne Umsteigen zum Zielbahnhof! 75 % der Abfahrten setzen weiterhin, exakt wie beim Bus, ein Umsteigen voraus!
Das Betriebskostendefizit von erwarteten jährlich über 4 Mio. € trägt die Stadt Tübingen. Jahr für Jahr. Zu dem von den Stadtwerken getragenen Defiziten im Bus-ÖPNV.
Rechnen Sie sich aus, was bei allein 200 Mio. € Baukosten (+ jährliches Defizit) jeder der - bei wohlwollender Prognose - 10000 Umsteiger den Steuerzahler kostet. Erweiterte Buslinien/Park&Ride kosten einen Bruchteil!
Und nicht zu vergessen: Ihr Heizungsmonteur, Ihr neuer Kühlschrank, Ihr Notarzt - sie alle kommen nicht mit Bus und Bahn, auch nicht mit dem Rad, sondern über die Straßen, die großzügig gesperrt (Mühlstraße) oder mehr oder weniger eingedampft (Wilhelmstraße, bot. Garten) werden.